Gedanken zu Michael Bunge

Rede von Helmut Brade

Zur Vernissage in der Galerie Zaglmaier Halle am 23. September 2017

Als 1959 im Hof der Burg Giebichenstein die Hinterlassenschaften von Kurt Bunges Familie versteigert wurden, war Michael Bunge 12 Jahre alt und gerade, für ihn durchaus unerwartet, in Kassel angekommen. Dort im ach so goldenen Westen musste er zusehen, mit einer erst einmal ungewohnten Schulwelt zurecht zu kommen. Irgendwann hat er dann ein Abitur gemacht, hat Architektur studiert, als Architekt gearbeitet, in unterschiedlichen Büros, auch selbständig, hat unter vielen anderen Projekten an der schönen Siedlung »documenta urbana« einen wesentlichen Beitrag bauen dürfen, hat in Darmstadt und Kassel gelehrt, auch kurze Zeit in Halle, und jetzt, vor ein paar Jahren schon, hat er etwas wiederentdeckt, was schon einmal während seines Studiums eine ablenkende Gefahr hätte werden können, die Malerei.

Was nun ganz verwirrend ist, er ist ein Hallescher Maler. Und so ist es ganz natürlich, dass er heute hier in Halle ausstellt.

Es ist mir schon manchmal so gegangen, dass man in der Fremde plötzlich in Halle ist. In Michael Bunges Atelier ging es mir jedenfalls so, und das ausgerechnet in einer Stadt, wo die Weltoffenheit grenzenlos ist und gerade jetzt, im Sommer jedenfalls, ein klobiger Parthenon die Eis essenden Kunsthungrigen in den Schatten stellte. Stadtnah in Bunges Atelier gab es natürlich auch die Möhwald-Kanne, das untrügliche Indiz hallescher Wurzeln und eben Bilder, die einem irgendwie bekannt vorkommen, obwohl man sie gar nicht kennen kann. Es ist weniger die äußere Form, als eine bestimmte Haltung, die einfach da ist, und den hallenser Gast augenblicklich berührt. Es gibt doch so etwas wie Heimat, und wenn die Heimat noch so hässlich sein mag und zeitweise unlebbar, so ist sie doch im Herzen da, und wie es scheint unauslöschbar.

Dabei sind Michael Bunges Bilder doch ganz eigen. »Ich will in meinen Bildern keine Rätsel lösen, sondern welche hervorbringen«. Suchen wir also nach den Rätseln.

Es gibt die »Erinnerungsbilder«. Sie erinnern an Träume, und wie im Traum entsteht eine neue Wirklichkeit, die mitunter durch die starke Emotion und die ausschweifende Phantasie die reale Wirklichkeit weit übertrifft. Es sind »mitteldeutsche« Landschaften, die es nicht gibt und die doch ganz und gar stimmen. Fassaden mit bröckelndem Putz, einsame Fenster, Tore, Häuser, wie die Gartenlauben in Lettin, Farben wie eben nur in Halle, und verrückterweise einem Halle, das so inzwischen verschwunden ist. Hier gibt es keine Übereinstimmung mit konkreten Orten, sie wird man nicht finden, sie bleiben rätselhaft und sind doch gleichzeitig vertraut. Das macht ihre nachhaltige Wirkung aus.

»Wenn alles, was ich auf die Bildfläche bekomme, nur noch das Resultat dessen ist, was ich mir vorher ausgedacht habe, dann höre ich auf zu malen«. Es gibt die kleinen Bleistiftskizzen, aber wie man vermuten kann, sind sie nur der erste Anlass für das eigentliche Abenteuer des Malens, das nicht Ausführung ist, sondern ständiges Finden und Erfinden. Das betrifft eine Gruppe von Bildern, die eigene Welten sind, und die etwas ins Bild setzen, was nicht Natur ist oder Stillleben, sondern eher Kontemplation und feine Lebensweisheit. Zeitzeugen: ein Zug von Figuren unterschiedlichen Aussehens mit langen Stangen, die weit in den Himmel ragen, und an deren Enden Uhren zu sehen sind mit unterschiedlichen Formen und Zeiten. Was sie tragen ist ihre Lebenszeit, und die Zeit läuft. Sie geht unweigerlich bei jedem Stangenträger einem Ende entgegen. Die Beziehung zwischen zugemessener Zeit und ahnungslos heiterem Leben stellt inhaltlich und formal eine beunruhigende Bildspannung her, die nicht gerade harmlos ist. Es ist unmöglich, nicht an Vergänglichkeit zu denken, an den Lebensbogen, der unsere Natur ist. Das wird vermittelt, heiter, ohne Belehrung und Drohung.

Auf einem anderen Bild schieben Figuren Wolken weg: Wolkenschieber. Vorn weg läuft der Tod. Sie merken das gar nicht, dass sie ihm nachlaufen, puppenhafte Figuren, die sich wahrscheinlich ihrer Rolle gar nicht bewusst sind. Das klingt tragisch, ist aber durch Malerei soweit verfremdet, dass Thema und Bild in changierender Einheit verbunden sind. Vanitas. Man ist an den südafrikanischen Maler Kentridge erinnert; in Halle vielleicht an die Fastnachtsbilder von Karl Völker.

In all diesen Arbeiten kehren bestimmte Zeichen wieder: der kahle Baum, Sterne, blauer Himmel, Zypressen, Kreuze, Vögel, bunte Häuser, Wasser und der Steg, um es zu überqueren. Manche dieser Kompositionen haben eine comicartige Aufteilung der Malfläche, in einem Bild sind mehrere Bilder, die sich ergänzen oder aufeinander folgen. Manchmal scheint auch der Architekt mitgearbeitet zu haben: Eisenträger, Feuerleitern, Fassaden, die lebendig sind, wie die Wände der Häuser, die es früher gab, wie Michael Bunge sie zuerst in Halle gesehen haben mag. Und es gibt auch Sonnenblumen, schwarze verblühte, die eben auch an Halle erinnern mögen, wenn es auch nicht die Mohnkapseln von Hermann Bachmann sind. Es sind poetische Bilder. Ich denke, man kann mit ihnen gut leben, sie sind mehr als Dekoration.